
Berufsorientierung im Gymnasium HalverGeredet wird schon genug!
Es ist neun Uhr morgens. Der Gong gibt unüberhörbar das Signal und der Unterricht beginnt. Der findet heute jedoch für rund 120 Schülerinnen und Schüler der EF, das sind Jugendliche, die in diesem Jahr die 10. Klasse abschließen, völlig anders als gewohnt statt – hier am Anne-Frank-Gymnasium der Stadt Halver. Nicht die Hinführung auf ein Studium ist das Ziel, vielmehr sollen die Jugendlichen ihren Blick weiten auf die vielen Möglichkeiten, die es für ein erfolgreiches und erfüllendes Berufsleben gibt. Und Karrieremöglichkeiten, die gibt es im Handwerk bekanntlich zuhauf.
Das Handwerk begeistert durch das Machen – Geredet wird schon genug! "Genau das ist es, was wir mit unserem Projekt erreichen wollen", sagt Verena Kurth, die für dieses besondere Angebot an weiterführende Schulen im Kammerbezirk verantwortlich zeichnet. Sie ist die Leiterin des Teams Fachkräftesicherung der Handwerkskammer Südwestfalen und verantwortet auch das Projekt HANDgedreht. "Viele junge Menschen kennen gar nicht die Alternativen zum Studium. Deshalb kommen wir mit unserem praxisorientierten Angebot ins Spiel. Das Handwerk begeistert durch das Machen. Geredet wird schon genug. Schließlich ist Handwerk beides: analog und digital."
Handwerk ist modern, innovativ und zukunftssicher
Leider ist es noch eher die Ausnahme als die Regel, dass die Chancen im Handwerk praxisnah in der Berufswahlvorbereitung an einem Gymnasium thematisiert werden. "Für uns als Team Fachkräftesicherung ist es heute daher eine große Freude und natürlich auch eine besondere Herausforderung, hier an einem Gymnasium zu zeigen, dass Handwerk modern ist, innovativ und zukunftssicher und so ganz anders als die verstaubten Vorstellungen, die in noch so vielen Köpfen stecken." Das bestätigt auch Katrin Partmann, die als zuständige Lehrerin den Vormittag lang die Aktion begleitet. Sie hat den Tag mit vorbereitet und wird sicher in den kommenden Wochen und Monaten noch von dem einen oder der anderen aus der EF in Sachen Berufswahl angesprochen werden – auch auf den heutigen Vormittag.
"… lasst mich auch endlich Taten seh’n!"
"Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten seh’n!" So spricht der Direktor in Goethes Faust. Genau diesem Zitat entspricht das Konzept auch an diesem Morgen am Halveraner Gymnasium. Neun praktische Übungen aus der Mobilen Schülerwerkstatt stehen in fünf Runden für alle 120 Jugendlichen der EF bereit. Dann endlich geht‘s los mit den praktischen Übungen, betreut von Betrieben, Ausbildungsbotschaftern und der Handwerkskammer. Mit dabei ist das Zimmererhandwerk (Esterle Holzbau und Zimmerei), das Dachdeckerhandwerk (Michael Wegner GmbH), das Schornsteinfegerhandwerk (Daniel Michael Kestel), die Orthopädietechnik (Emmerich Orthopädietechnik), das Metallbauerhandwerk (Schürmann Metallbau e. K.), das SHK-Handwerk, das Malerhandwerk und das Hörakustikerhandwerk.
Viele Berufe: Da ist entdecken angesagt.
Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen, das ist die – manchmal – doch große Herausforderung, der sich die Jugendlichen zu stellen haben. Hilfestellungen gibt es durch kurze Erklärfilme zur Aufgabenstellung – selbstverständlich aus dem Projekt HANDgedreht – sowie durch Vertreter von Betrieben, Ausbildungsbotschafter und Mitarbeiterinnen des Teams Fachkräftesicherung der Handwerkskammer. Woraus besteht ein Dachstuhl und in welcher Reihenfolge wird er aufgestellt? Was muss ein Dachdecker tun, um eine energieoptimierte und dichte Dachhaut zu erstellen? Wie sorgt ein Schornsteinfeger für den sicheren und umweltfreundliche Betrieb von Feuerstätten? An welchen Stellschrauben muss wie gedreht werden, damit eine Unterschenkelprothese ein wirkliches Hilfsmittel ist? Aus welchen Teilen besteht ein Schraubstock und wie setze ich ihn zusammen? Wie plane ich ein Bad und wie füge ich eine Wasserleitung? Welchen gestalterischen Herausforderungen müssen sich Maler und Lackierer stellen?
Die eigenen Stärken und Schwächen erkennen
Wie beim Speeddating folgt quasi im Staffellauf eine Station auf die nächste. Für die meisten Schülerinnen und Schüler ist es eine Reise durch weitgehend unbekanntes Gebiet. Angesichts der Vielfalt der praktischen Übungen erkennen alle schnell, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Darüber hinaus erfahren sie in den Gesprächen nebenher so manch Interessantes über den Beruf, aus dessen Arbeitsbereich sie soeben eine praktische Übung durchführen. Das Spektrum reicht von Ausbildungsinhalten bis zu den Karrierechancen im Handwerk – bis hin zur Möglichkeit, mit der abgeschlossenen Berufsausbildung ebenfalls einen Zugang zur Hochschule zu haben.
Schülerinnen und Schüler reagieren positiv auf Angebot
"Auch an diesem Tag ist es uns wieder gelungen, einige Barrikaden in den Köpfen einzureißen. Immer wieder bin ich erstaunt, wie positiv die Schülerinnen und Schüler auf unser Angebot reagieren", resümiert Verena Kurth, als die EF längst den Raum verlassen hat. "Die Arbeit im Projekt hat dem Handwerk Werkzeuge an die Hand gegeben, die es vorher nicht gab. Gleichzeitig haben wir immer wieder erlebt, wie gern unser in den vergangenen fünf Jahren aufgebautes System in den Schulen in die Berufswahlvorbereitung integriert wird. Den Profit haben alle Seiten – die Schülerinnen und Schüler natürlich an erster Stelle, da wir ihnen die Berufsentscheidung fundiert erleichtern. Auch die Betriebe sind froh, mehr gute Kontakte zum möglichen Berufsnachwuchs knüpfen zu können, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Schließlich geben wir den Schulen ein didaktisch fundiertes Instrument in die Hand, theoretische Informationen zu Ausbildungs- und Karrierewegen handlungsorientiert zu ergänzen."