
Mit Hilfe eines Bildschirmlesegeräts mit Kamera kann Dominic Haarhoff beispielsweise Zeichnungen auf die Größe ziehen, die nötig ist, um alles zu erkennen.
InklusionNicht sehen – aber alles fest im Blick
Wenn in der Werkshalle der Fosch GmbH in Marsberg-Giershagen die CNC-Drehmaschinen surren, herrscht höchste Konzentration.
Metall wird mit Präzision auf den hundertstel Millimeter genau bearbeitet – jeder Griff, jeder Arbeitsschritt muss sitzen. Mitten in dieser Umgebung arbeitet Dominic Haarhoff. Konzentriert, ruhig und fokussiert. Was ihn von seinen Kollegen unterscheidet: Er ist fast blind.
Dominic Haarhoff, 31 Jahre alt, arbeitet seit dem vergangenem Jahr als Zerspanungsmechaniker (Fachrichtung Drehtechnik) in dem Betrieb, der sich auf Verschleißteile und Sonderanfertigungen für die Industrie spezialisiert hat. Maßgeschneiderte Lösungen, wo Standardteile versagen – das ist das tägliche Geschäft bei Fosch. Dass ausgerechnet in diesem Präzisionsumfeld jemand mit Sehbehinderung fest angestellt ist, wirkt zunächst überraschend, entpuppt sich am Ende aber als Erfolgsgeschichte.
Ein fester Platz im Betrieb – trotz Handicap
Dominic Haarhoff ist auf einem Auge komplett blind, auf dem anderen sehr stark sehbehindert. Seit einem Unfall als Jugendlicher hat sich sein Leben radikal verändert. Doch an seinem Berufswunsch hielt er fest. Seine Ausbildung, die durch die Deutsche Rentenversicherung Westfalen im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben finanziert wurde, absolvierte er am Berufsbildungswerk für Blinde und Sehbehinderte in Soest. Über Freunde aus seinem Wohnort Brilon-Bontkirchen hörte er von der Firma Fosch – das Praktikum ließ nicht lange auf sich warten. "Ich wollte unbedingt an die Drehbank", so Haarhoff.
Skepsis am Anfang – Überzeugung durch Leistung
Chris Stuhldreier, neben Betriebsinhaber Jan Fobbe einer der beiden Geschäftsführer der Fosch GmbH, gibt offen zu, dass er zunächst überlegt hat, ihn eher im Büro oder im Versand einzusetzen. Aber Dominic Haarhoff zeigte sich entschlossen. Also sagten sie: "Dann versuchen wir es."
Was folgte, war eine klassische Probe aufs Exempel und Haarhoff bewährte sich eindrucksvoll. Er nahm an einer sogenannten "verzahnten Ausbildung" teil. Dieses inklusive Modell kombiniert die Ausbildung im Berufsbildungswerk mit einer Praxisphase im Betrieb. Für den Arbeitgeber fallen dabei keine Kosten an, da das Berufsbildungswerk Träger der Ausbildung bleibt.
Haarhoff verbrachte neun Monate bei Fosch – und überzeugte. Seine handwerkliche Qualität, seine Präzision und seine Beharrlichkeit sprachen für sich. Für Jan Fobbe steht fest: "Dominic Haarhoff kompensiert seine Sehschwäche mit seinen Fähigkeiten – und das auf beindruckende Weise."
Eine individuelle Technik hilft weiter
Als feststand, dass er nach der Ausbildung fest angestellt wird, musste der Arbeitsplatz technisch umfassend angepasst werden. Die Deutsche Rentenversicherung hat – ebenfalls im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben – die Fosch GmbH bei der Einrichtung des Arbeitsplatzes finanziell unterstützt.
Denn nicht nur die CNC-Maschine wurde modifiziert, auch eine Vielzahl an digitalen Messinstrumenten und ein hochmodernes Bildschirmlesegerät wurden angeschafft.
Hier kam auch die Handwerkskammer (HwK) Südwestfalen ins Spiel. Nadja Kohlwey, als Abteilungsleiterin der HwK-Fachkräftesicherung verantwortlich für die "Einheitliche Ansprechstelle für Arbeitgeber", kennt Haarhoff und den Betrieb. Sie aktivierte ihr Netzwerk und brachte Sebastian Rummel von der Deutschen Rentenversicherung Westfalen mit an den Tisch. Gemeinsam analysierten sie, welche technischen Anpassungen konkret notwendig sind. "Es gibt im Grunde keine vergleichbaren Fälle. Jeder Fall muss individuell betrachtet werden", betont Rummel.
Entstanden ist ein Arbeitsplatz, der auf Haarhoff zugeschnitten ist: Ein 3D-Messtaster sorgt für exakte Werkstückmessungen. Ein Bildschirmlesegerät mit Kamera vergrößert Zeichnungen, verändert Kontraste und speichert Ansichten – auch mobil bei Schulungen. Digitale Messmittel mit klarer digitaler Anzeige erleichtern die tägliche Arbeit.
"Ich arbeite zu 100 Prozent eigenständig"
Dominic Haarhoff schätzt die Technik – aber sie ist nicht der einzige Schlüssel zu seinem Erfolg. "Die Hilfsmittel sind für mich eine riesige Erleichterung", sagt er. Aber am Ende sei entscheidend, dass er eigenständig arbeiten könne. "Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das so gut klappt", gibt Chris Stuhldreier ehrlich zu.
Auch das Betriebsklima stimmt. Eine Fahrgemeinschaft von Kollegen, die ebenfalls aus Bontkirchen stammen, nimmt ihn immer mit – denn öffentliche Verkehrsmittel sucht man vergebens. Dass er sich durchsetzen kann, hat er längst gezeigt. "Egal wo, man muss sich immer wieder beweisen", sagt der 31-Jährige – ein Satz, der für Menschen mit und ohne Behinderung gilt.
Der Fall Dominic Haarhoff zeigt: Inklusion im Handwerk ist nicht nur möglich, sie ist auch ein Gewinn – für alle Seiten. Nadja Kohlwey: "Alles, was es braucht, ist Mut, Neues zuzulassen und die Bereitschaft, individuelle Lösungen zu schaffen – alles Eigenschaften, die das Handwerk ausmachen."
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